61 % sehen in immer höheren Mietenpreisen eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die Berliner Regierung hat in den letzten Jahren 44 „Soziale Erhaltungsgebiete“ geschaffen, in denen „die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll.“ Sind die Wohnmieter*innen in diesen „Milieuschutzgebieten“ besser vor Verdrängung geschützt als anderswo? Kaum, denn den Profiteuren bleiben Hintertüren. Und was ist eigentlich mit den Gewerbetreibenden?

 „Wie Sie bereits wissen, werden diese Arbeiten für Unruhe unter den Mietern sorgen …“

Die Beziehung von Investor*innen zu ihren Mieter*innen ist grundsätzlich gestört. Investor*innen sind Hauseigentümer*innen, die sich allein ihren Anleger*innen verpflichtet fühlen. Im frisch erworbenen Objekt zahlen die Mieter*innen im Moment nur 5,55 Euro pro Quadratmeter für ihre Wohnung? Das lässt sich ändern! Selbst wenn das Objekt, wie in diesem Fall, in einem Milieuschutzgebiet liegt. Es geht hier um zwei Häuser in der Kreuzberger Mariannenstraße, die der Wildhorn SICAF SIV S.A. gehören, einem in Luxemburg ansässigen Unternehmen. Ihren Anleger*innen teilt Wildhorn in ihrem Geschäftsbericht von 2016 mit, sie befinde sich zwar wegen ihrer Modernisierungspläne für die beiden Häuser im Streit mit den Behörden, doch: „Wir werden vor Gericht gehen und für unsere Rechte kämpfen. In der Zwischenzeit werden wir die Zufluss- und Abflussrohre des gesamten Gebäudes erneuern.“ Sie seien asbesthaltig. Ferner würden zwei Heizkessel und die komplette Warmwasserversorgung ersetzt. „Wie Sie bereits wissen, werden diese Arbeiten für Unruhe unter den Mietern sorgen, und einige werden es bevorzugen auszuziehen. Das ist deutlich in unserem Interesse, weil wir die freigewordenen Wohnungen renovieren und zu einem viel höheren Preis vermieten können.“ Das Unternehmen weiter: „Um das Potenzial darzustellen: Drei Wohnungen wurden bereits renoviert und für 11,55 Euro pro Quadratmeter neu vermietet.“

Milieuschutz: Es gibt keine Rettung vor Modernisierungen

Selbstverständlich gibt es weitaus krassere Fälle von Modernisierungsterror, doch die Modernisierungsumlage nach § 555b BGB ist auch mit sanften Mitteln ein Entmietungsinstrument und funktioniert für Eigentümer*innen prächtig. Wenn Vermieter*innen ankündigen, dass sie Fenster erneuern, Fassaden energetisch modernisieren und Balkone anbauen werden, stehen Mieter*innen angesichts der gesetzlich erlaubten Umlagen schnell vor einer Mieterhöhung, die sie sich nicht leisten können. Was tun? Die bevorstehenden Kosten meiden und so schnell wie möglich eine neue Wohnung finden. Oder bleiben und zusammenrücken, also zum Beispiel selbst beim zweiten Kind nicht aus der der Zwei-Zimmer-Wohnung ziehen.

In Milieuschutzgebieten muss das Bezirksamt Modernisierungen genehmigen. Doch wer durch diese Vorgabe davor geschützt scheint, „herausmodernisiert“ zu werden, steht praktisch nicht unbedingt besser da als im Rest der Stadt.
Milieuschutzgebiete unterliegen einer sogenannten sozialen Erhaltungssatzung. Sie soll verhindern, dass sich ein Kiez zu schnell ändert. Die angestammte Wohnbevölkerung soll beieinanderbleiben. Ein hehres Unterfangen, das faktisch immer wieder ausgehebelt werden kann – weil die Gesetzeslage es zulässt.

Was eine zulässige Modernisierung ist, entscheiden nämlich die zuständigen Bezirke, ohne dass die betroffenen Mieter*innen mitreden könnten. So hat die  Berliner Mietergemeinschaft e.V. festgestellt, dass manche Bezirke zwar den Einbau von Fußbodenheizungen grundsätzlich ablehnen wollen, Balkonanbauten oder Fahrstühle jedoch genehmigen – in jedem Fall sind das Aufwertungen, die auf die Mieter*innen umgelegt werden und ihre Mieten hochtreiben, und zwar langfristig.

Mal wieder ein Ausweg für Profiteure

Die Erhaltungssatzung sieht außerdem vor, dass die Umwandlung von Wohnraum in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig ist. Das klingt gut. Der Bezirk könnte dann doch einfach „nein“ sagen? Eben nicht. Der Bezirk darf nicht „nein“ sagen, wenn sich der Hauseigentümer verpflichtet, innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren an niemand anderen als seine Mieter*innen zu verkaufen. Anbieten muss er ihnen die Wohnungen jedoch nicht. Nach sieben Jahren kann er sie frei am Markt zum Kauf anbieten. Eine Eigenbedarfskündigung des neuen Eigentümers wird dann nach fünf Jahren Schonung wirksam. Mieter*innen in Milieuschutzgebieten sind also zwei Jahre länger als andere davor geschützt, auf die Straße gesetzt zu werden.
Hinzu kommt: Wer weiß, dass er/sie die Wohnung nicht kaufen kann, wird sofort nach einer Ausweichmöglichkeit suchen, bevor es in Berlin noch teurer wird. So kann der Eigentümer einen neuen Interessenten suchen, der dann als Mieter kaufen wird.

Der Druck auf die Mieten macht das soziale Leben kaputt

Nicht zufällig sehen deshalb 61 Prozent der Menschen in Deutschland laut der repräsentativen Caritas-Studie in den „immer höheren Mietpreisen eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“:
Wer ausziehen muss, und nicht etwa freiwillig sein Wohnumfeld wechselt, findet heute nur mit Glück eine bezahlbare Wohnung in seiner Nachbarschaft. Konkurrenz entsteht und Neid. Das Gemeinsame, die Hilfestellung untereinander, nimmt ab zugunsten der eigenen Interessen. Vereinzelung zerstört gelebte Nachbarschaft. Die meisten müssen weiter wegziehen, wetteifern selbst am Stadtrand mit anderen und haben fortan weite Wege zu ihrem Job. Wer weiter weg muss, verlässt außerdem sein bisheriges Leben. Das sind die Nachbarn, die Freund*innen in der Umgebung, das ist aber auch die Kita oder Schule der Kinder, der Freizeitverein. Es ist das kleine Kino oder Theater, die Stammkneipe. Das ist keine Kleinigkeit, gerade wenn mensch älter ist. Als Berufsfänger*in oder Student*in erscheint der Ortswechsel noch normal. Wer sich im besten Sinne des Wortes niedergelassen hat und bleiben will, hat sich eingewöhnt und begreift eine erzwungene Verdrängung als Katastrophe. Alles fällt weg. Die Wohnung, aber auch die Umgebung mit den Läden, in denen man gern eingekauft hat – und die sind genauso unter Druck.

Das Kleingewerbe ist ausgeliefert

Gewerberaummieter haben Mietverträge mit unterschiedlichen Laufzeiten. Die Konditionen der Mietverträge werden zwischen Vermieter*innen und Mieter*innen ausgehandelt. In unseren Kiezen haben viele Gewerberaummieter, wozu Handel, Handwerk, Sozial- und Kultureinrichtungen gehören, unterschiedlich zeitlich begrenzte Laufzeiten, sehr häufig von einem bis drei Jahren. Innerhalb dieses Zeitraumes steigt die Miete jährlich um einen vereinbarten Prozentsatz.
Forderungen von 30 bis 40 Euro kalt pro Quadratmeter sind allerdings mittlerweile normal. Vermieter sehen ihre Mieter nur als Zeitmieter, solange die in der Lage sind, die Preise zu zahlen. Dann suchen sie sich einen neuen, solventeren Gewerbetreibenden.

Für Sozialeinrichtungen ist das besonders dramatisch, weil sie öffentlich mit einem festen Etat gefördert werden und auch für das Inventar einmalig einen festgelegten Betrag bekommen. Sie können angesichts der Zeitverträge weder langfristig planen noch Mitarbeitende einstellen. Dasselbe gilt übrigens für Kultureinrichtungen – sie sind zum Großteil verdrängt worden, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können.

Alle Gewerberaummieter, ob Späti, Livemusik-Club, Theater, Jugendclub oder Kita, müssen nach Auslaufen ihrer Mietverträge mit dem wirtschaftlichen Aus rechnen. Sie bekommen keine vergleichbaren Räumlichkeiten zu bezahlbaren Mieten. Mehr noch: Viele Betreiber*innen sind als Selbständige nicht arbeitslosenversichert und müssen umgehend Hartz IV beantragen. Auch ihre Angestellten verlieren ihren Arbeitsplatz.

Die Versorgungslage der Wohnbevölkerung verändert sich auf diese Weise gewaltig. Kleine Geschäfte des täglichen Bedarfs verschwinden und weichen Gastronomiebetrieben oder Handelsketten, selbst Arztpraxen landen in den Außenbezirken. Auch Handwerksbetriebe ziehen an den Stadtrand, was meistens zum Verlust der Stammkundschaft führt.

Was bleibt übrig, wenn wir uns nicht widersetzen? Bereits in zehn Jahren könnte Berlin eine Stadt sein, die ihre Eigenheiten verloren hat – und besonders den Platz für alle.

Viele Initiativen fordern:

  • Modernisierungen müssen sinnvoll, wirtschaftlich und begründet sein und in Absprache mit den Mieter*innen geplant werden; Mieter*innen brauchen ein echtes Mitspracherecht
    • Verletzungen von Instandhaltungspflichten der Vermieter müssen geahndet werden; Modernisierungen dürfen keine zuvor vernachlässigte Instandhaltung ersetzen
  • Modernisierungskosten dürfen nicht allein auf die Mieter*innen abgwälzt werden, und vor allem nicht auf alle Zeit zur Mieterhöhung legitimieren
    • Wenn nachweislich (!) eine Verbesserung für die Mieter*innen erzielt wird, darf die Investition nur langfristig über die Mieten amortisiert werden
    • Vermieter müssen verpflichtet werden, über die Amortisierung Rechenschaft abzulegen
  • Ein echtes Verbot, Mietwohnungen in Milieuschutzgebieten in Eigentumswohnungen umzuwandeln ­- Streichung der Siebenjahresregel
  • Deutliche Erschwerung, überhaupt Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln
  • Beschränkung der Eigenbedarfsklagen von Firmen
  • Kleingewerbetreibende, Handwerk, Sozial- und Kultureinrichtungen müssen Mietverträge bekommen, die im Mietrecht verankert sind und Wohnmietverträgen gleichen
  • Erweiterter Milieuschutz mit Einbindung im Sozial- und Mietrecht als Erhaltungs- und Fördergebiete
  • Förderung von kleingewerblichen Strukturen und sozialen Einrichtungen
  • Bereitstellung kreativer Räume für unabhängige Gruppen
  • Förderung und Finanzierung nachbarschaftlicher Strukturen

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